Für alle mit Meer-Sehnsucht im Herzen
Am 25. Juni erscheint Kristinas neuer Roman »Kaputte Herzen kann man kleben«. Die Geschichte spielt in St. Peter-Ording an der Nordseeküste. Damit das Warten nicht zu lange wird, gibt es hier vorab einen kleinen Textschnipsel (passend zur Seebrücke auf dem Foto):
Hebamme Luisa ist alleinerziehend. Ihr Ex entzieht sich seinen Verpflichtungen, wo er kann. Als Luisas Rücken die Notbremse zieht, muss sie mit ihrer kleinen Tochter eine Auszeit nehmen: bei der exzentrischen Tante in St. Peter-Ording. Die geschickten Hände des verschlossenen Physiotherapeuten Tom helfen ihr wieder auf die Beine, doch die Seele will nicht recht nachziehen. Bis sie am Strand auf ein Grüppchen Frauen trifft, das es sich zum Motto gemacht hat, fünfe gerade sein zu lassen. Und auch Tom ist auf einmal nicht mehr so verschlossen …
Leseprobe
Ich hatte die Wahl: Weiterzuradeln bis zu dem Strand, wo immer das Drachenfestival stattfand, oder Mimis Rad hier irgendwo anzuschließen und quer über die Seebrücke zu laufen. Sie war eintausend Meter lang, mit Holzbohlen ausgelegt, auf Stelzen gebaut und führte über Salzwiesen und Priele. Diese einzigartige Natur gab es nur hier an der Nordsee.
Ich befestigte das Schloss am Rad und dem hölzernen Geländer, stellte fest, dass der Strandwächter nicht in seinem Häuschen hockte, und steckte Mimis Kur-Karte wieder ein. Stattdessen schob ich mir die Kopfhörer in die Ohren und startete meine Rammstein-Playlist. Mein Musikgeschmack war schon immer geächtet. Aber hier hörte ja keiner, mit was ich meine Ohren malträtierte. Manchmal musste es eben sehr laut sein, damit ich die vielen Gedanken übertönen konnte. Am Ende der Brücke schlüpfte ich aus meinen Sneakers und sprang barfuß in den Sand.
Ich marschierte los. Nach wenigen Metern zog ich die Kopfhörer aus den Ohren. Der Wind zerrte an mir. Kein Mensch weit und breit war zu sehen. Ich war für einen kurzen Moment nur Luisa. Das ewig schlechte Gewissen ebbte langsam ab.
Ich lief weiter, ohne zu wissen, wohin. Auf meinem Weg begleiteten mich die Wolkenberge und der Wind, der sich in meinen Haaren austobte. Am Anfang war das Laufen im Sand anstrengend, kostete mich Kraft und ließ meinen Rücken protestieren, doch nach einigen Minuten ging es besser. Meine Füße gewöhnten sich langsam an die tiefen Abdrücke, die sie im feuchten Sand hinterließen. Als ich mich umdrehte, konnte ich meine eigene Spur klar und deutlich im Sand erkennen. Ich sah den Weg, den ich zurückgelegt hatte.
Wenn es doch nur im Leben auch so einfach wäre, seinen Weg zu erkennen. Wo man herkam, und wo es hin ging. Mein Lebensweg war bisher wirr und verschlungen gewesen. Ich war mal in die eine, mal in die andere Richtung gelaufen, und definitiv hatte ich mich dabei in den letzten zehn Jahren mehrmals im Kreis gedreht.
Energisch lief ich weiter. Aus meinem staksigen, bemühten Vorankommen war plötzlich ein strenger Marsch geworden. Der Sand war hier fester, und ich stampfte auf und stieß mich kraftvoll wieder ab. Die salzige Luft füllte mich mit Sauerstoff. Weit entfernt sah ich ein Paar mit zwei kleinen Kindern. Der Papa warf eins der Kinder ein Stück in die Luft und fing es wieder auf, und der kleine Junge lachte dabei so laut, dass ich ihn trotz der Entfernung hören konnte. Alle vier sahen glücklich aus. Sie gehörten zusammen.
Ich wich nach links aus, wollte einen möglichst großen Abstand zwischen ihnen und mir lassen. So viel fremdes Glück ertrug ich jetzt nicht.