Vampir-Adel und Feentöchter im Bann der Liebesgöttin Venus.
Frisch poliert in neuem Gewand erscheint im Juni 2017 der zweite Band meiner »Licht & Schatten-Reihe« als eBook: DIE STERNSEHERIN
Dieses Mal sind meine HeldInnen auf der Suche nach einem geheimen Grimoire. Ihre Reise führt sie nach Edinburgh, Paris und in den Feenwald Brocéliande mitten in der Bretagne.
»Der Blutkristall« und »Das Feenorakel« wird es im Laufe des Sommers ebenfalls in neuem Gewand und digital geben. Wer lieber Gedrucktes liest, bekommt beide Bücher bei LYX und auch sonst überall im gut gepflegten Buchhandel.
Zwei Männer. Der eine entflammt ihre Seele, der andere lindert den Schmerz.
Die Feentochter Estelle besitzt die seltene Gabe der Empathie, sie kennt die geheimsten Träume der Menschen. Eine zufällige Berührung reicht aus, um sie in ein Fegefeuer der Gefühle zu stürzen. Bis sie Julen begegnet – ihn kann sie nicht spüren. Er könnte der perfekte Mann sein, wäre da nicht noch Asher: Der Vampir vereint alles in sich, was sie ablehnt und schleicht sich doch im Nu in ihr Herz.
Leseprobe
Inzwischen war das Wetter umgeschlagen. Estelle kaufte sich rasch noch eine eher traditionelle Outdoorjacke, die sie vorher im Schaufenster entdeckt hatte und die auch nicht eben billig war. Der Portier des Kaufhauses begleitete sie mit einem riesigen Schirm hinaus und pfiff nach einem Taxi. Diese Aufmerksamkeit war ihr durchaus recht, denn der Himmel hing tief, es goss in Strömen, und den Blitzen nach zu urteilen, die über den Dächern zuckten, hätte man meinen können, die Götter nähmen ihr die Ausschweifungen übel. »Gummistiefel wären auch nicht schlecht«, murmelte sie, während das Wasser ungehindert durch ihre neuen Sandaletten floss.
Gerade wollte Estelle das Taxi besteigen, da rempelte sie jemand an. Der Portier lieferte sich ein kurzes Gerangel mit dem Mann, in dessen Folge der Regenschirm den Besitzer wechselte. Nachdem der Fremde ein paar Worte in das Ohr des Portiers geflüstert hatte, gab dieser jeglichen Widerstand auf, nannte dem Fahrer ihre Adresse und rannte mit eingezogenem Kopf durch den Regen zurück auf seinen Posten. Ehe Estelle es sich versah, saß sie inmitten ihrer Tüten im geräumigen Fond eines britischen Taxis, und neben ihr lümmelte der hinreißendste Elf, den sie je gesehen hatte. Nicht dass ihr schon viele männliche Feenwesen über den Weg gelaufen wären, genau genommen handelte es sich hier sogar um die erste Begegnung mit einem ihrer im Verborgenen lebenden Verwandten – seit dem Tod ihrer Mutter. Trotzdem war sie überzeugt, dass er ein Elf sein musste. So sehr sie sich auch bemühte, sie konnte ihn überhaupt nicht spüren, und wenn nicht ein naher Angehöriger mit besonderen Fähigkeiten, wer sonst wäre in der Lage, sich ihrem seherischen Talent zu entziehen?
Während sich das Auto durch den Feierabendverkehr quälte, suchte Estelle angestrengt nach geeigneten Worten. Unsicher riskierte sie einen Blick unter ihrer neuen Frisur hervor und erntete dafür ein freches Grinsen von Seiten des ungebetenen Mitreisenden.
Aber wenn er ein Gespenst war? Sie kannte allerdings keinen Geist, der tagsüber derart real zu wirken vermochte und zudem die Dreistigkeit besaß, mitten in der Stadt ein Taxi zu entern. Üblicherweise hausten diese armen Seelen in alten Gemäuern und manifestierten sich dort bestenfalls zu einer transparenten Erscheinung. Aber um diese auch sehen zu können, musste jemand schon ziemlich viel Talent oder Übung mitbringen. Estelles einschlägige Erfahrungen waren auch in diesem Bereich begrenzt.
Ebenso wie ihre Kontakte zu Blutsaugern. Diese beschränkten sich weitestgehend auf einige wenige Begegnungen mit ihrem »Schwager« Kieran. Ihn konnte sie nur »lesen«, wenn er ihr freiwillig einen Einblick in seine Gedanken erlaubte. Dafür nahm sie aber bei jeder Begegnung deutlich das Dunkel wahr, das ihn umgab und das mit Sicherheit typisch für Vampire war. Denn auch Nuriyas Aura enthielt Spuren davon. Dem Mann neben ihr fehlten diese Merkmale, genau genommen schien er gar keine Aura zu besitzen. Behutsam öffnete sie sich für ihre Umgebung, wohl wissend, dass sie damit einen Anfall riskierte.
Nichts.
Keine Gedanken, keine Gefühle, gar nichts.
Sie schaute noch einmal hinüber. Ahnte er, dass sein rotblonder Bartschatten zusammen mit der Kerbe im Kinn ihre Knie puddingweich werden ließ? Nicht ganz auszuschließen, denn kleine Fältchen bildeten sich um seine Augen, während er ihren Blick erwiderte und das Lächeln sich vertiefte. Aus dem kinnlangen Haar tropfte der Regen und sein dunkler Mantel glänzte vor Feuchtigkeit. Eventuell war dies ein Indiz dafür, dass er vor dem Kaufhaus auf sie gewartet hatte. Sie sollte sich Sorgen machen, womöglich wurde sie gerade entführt. Aber sie konnte nur auf seinen Mund starren, der plötzlich nur noch wenige Zentimeter von ihr entfernt war. Erwartungsvoll senkten sich ihre Lider. Bremsen quietschten, der Wagen kam zum Stehen und Estelle erwachte ungeküsst aus ihrem Traum.
Ungeduldig sah sich der Fahrer um. »Da wären wir, Mädchen! Oder soll’s noch weitergehen für den Herrn?«
Erschrocken raffte sie ihre Einkäufe zusammen und stürzte hinaus. Anstelle des Regens ließen nun die letzten Sonnenstrahlen des Tages die alten Pflastersteine wie frisch lackiert glänzen, und sie floh in die schmale Gasse, die in ihren Hof führte.
Zu spät fiel ihr ein, dass sie vergessen hatte zu bezahlen. Als sie sich umwandte, hatte der Fremde dies offenbar schon erledigt und stand nun im Schatten der Häuser dicht hinter ihr. Er war nicht viel größer als sie, denn dank ihrer neuen Schuhe, deren Absätze zehn Zentimeter hoch waren – eine Extravaganz, die sie sich privat nie zuvor erlaubt hatte –, hieß das, er maß fast einen Meter neunzig. Dummerweise kam dadurch dieser verführerische Mund wieder in Reichweite, und Estelle fühlte bereits, wie ihre Knie nachgaben. Sie lehnte sich an die feuchte Hauswand, hob ihr Kinn erwartungsvoll und schloss die Augen vor dem Abendlicht, das plötzlich seinen Weg in die dunkle Gasse fand, als habe jemand die Laternen angezündet. Schon meinte sie die federleichte Berührung seiner Lippen zu spüren, da räusperte er sich. Mist! Sie hatte nicht einmal bemerkt, dass der Mann einen Schritt zurück in den Schatten getreten war.
»Verrätst du mir deinen Namen?«, fragte er mit einer Stimme, die gut zu dem Bild des Traummannes passte, das sich ihre Fantasie in den letzten Minuten ausgemalt hatte. Sein Akzent klang irgendwie nordisch, Estelle fand ihn hinreißend. Selbstkritisch dachte sie: In dem Zustand, in dem ich mich befinde, könnte er allerdings auch grunzen wie ein Eber und ich fände ihn immer noch süß. Laut gab sie zurück:
»Man sollte meinen, dass Sie sich zumindest vorstellen, wenn Sie schon zu einer Fremden ins Taxi steigen.« Die Enttäuschung über den entgangenen Kuss verlieh ihrer Stimme einen scharfen Ton.
»Entschuldigung, wo sind nur meine Manieren geblieben? Ich bin Julen. Jetzt du.«
Sie wusste von der Macht, die ein Name im falschen Augenblick haben konnte. Aber war dieser Fremde nicht einer von ihnen, ein naher Verwandter? Und wer wusste nicht sonst schon alles, wie sie hieß! Niemand aus der magischen Welt kennt alle deine Namen, flüsterte ihre innere Stimme. Der Vampir kennt sie aber schon! Ich will ihm ja auch nur einen verraten, dachte sie und sagte: »Ich heiße Estelle«, bevor sie es sich noch einmal anders überlegen konnte.
»Der Name passt wunderbar zu dir!« Der Elf, Julen, korrigierte sie sich, sah sie durchdringend an, und es sprach für eine Rückkehr ihres Selbstbewusstseins, dass sie seinen Blick offen erwiderte. Dabei stellte sie fest: Seine Pupillen veränderten sich nicht. Wenn die Augen wirklich der Spiegel der Seele waren, wovon sie fest überzeugt war, dann herrschte hier völlige Leere. Unheimlich! Ein anderer Gedanke verhinderte, dass sie weiter über dieses Rätsel nachdachte. Wenn er jetzt bloß keine falsche Bemerkung macht! Ein schmieriges Kompliment im Stil von »Deine Augen strahlen wie die Sterne am Firmament!« oder was Männer sich sonst einfallen ließen, sobald sie wussten, dass Estelle »Stern« bedeutete, hätte seine Attraktivität zweifellos enorm verringert.
Als ahnte Julen ihre Bedenken, lächelte er und der Bann war gebrochen. »Soll ich dir helfen, sie hinaufzutragen?« Er schaute auf die feuchten Tüten.
Wollte ich mich eben tatsächlich von ihm küssen lassen? Estelle schämte sich. Einem Fremden – egal ob zum Anbeißen sexy oder nicht – erlaubte man keine derartigen Freiheiten und man lud ihn auch nicht in seine Wohnung ein. Sie schüttelte den Kopf, über sich selbst und als Antwort auf seine Frage. Dann drehte sie sich um, lief über den Hof und versuchte dabei, nicht in eine der Pfützen zu treten. Ihre Füße waren sowieso schon nass, aber die Schuhe noch nicht ganz verloren, und sie würde sich mit dem Umziehen ohnehin beeilen müssen, wenn sie pünktlich im Pub sein wollte. Im Hausflur streckte sie die Hand aus, um das Licht einzuschalten – und ließ erschrocken ihre Tüten fallen.
Julen stand dicht neben ihr, sein Gesicht war in der Dunkelheit kaum zu erkennen. »Entschuldige. Ich wollte dich nicht erschrecken.« Er legte seine Hand auf ihren Arm. Estelle bereitete sich auf einen Sturm fremder Gefühle vor. Nichts. Sie konnte ihn einfach nicht spüren. Ein seltsamer Gedanke schoss ihr durch den Kopf. Würde sie mit diesem verführerischen Mann schlafen, könnte sie sich endlich einmal fallen lassen, ohne befürchten zu müssen, dass seine Fantasien ihr eine kalte Dusche verpassten oder die Intensität seiner Empfindungen unweigerlich einen Anfall zur Folge hatten. Ihre Wangen glühten.
Julen musste ihr Schweigen falsch verstanden haben, denn er ließ sie los, bückte sich, hob die am Boden verstreuten Einkaufstüten auf und reichte sie ihr.
»Ich würde dich gern wiedersehen.«
Vielleicht war es die Verbeugung, die er dabei andeutete, vielleicht auch eine wiedererwachte Abenteuerlust. Jedenfalls nahm sie allen Mut zusammen und sagte: »Ich bin später im Pub verabredet. Wenn du Lust hast, schau doch vorbei!« Sie nannte ihm Namen und Adresse und ohne seine Antwort abzuwarten, rannte sie die Stufen bis in den fünften Stock hinauf. Oben angekommen stürzte Estelle in die Wohnung und warf sich, nachdem sie den Schlüssel sorgfältig zweimal im Schloss umgedreht hatte, japsend auf ihr Bett. Ihr fehlte es deutlich an Übung. Mit Treppen und mit Männern.
(aus Kapitel 3)